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13. Oktober 2022
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1. November 2022
Das sind Larissa und Jakob, die beiden haben wir auf unseren Instagram Kanal @sfu.outdoor bereits vorgestellt, hier nochmal in aller kürze:
Die beiden haben ihre Jobs gekündigt, ihre Wohnungen ausgeräumt und sich auf ein großes Abenteuer eingelassen. Larissa und Jakob werden ein Jahr lang mit ihren Rädern durch nach Südosten fahren. Was die beiden so erleben und welche Begegnungen sie machen haben sie uns nach Ihrem ersten Monat auf Reisen geschrieben :
Gipfelstürmer*innen!
Endlich sind wir oben: auf 3510 Meter über dem Meeresspiegel erreichen wir den Atsunto-Pass. Wir befinden uns auf einem der höchsten Pässe Georgiens in einer abgelegenen Region im Nord-Osten des hohen Kaukasus. Kein Auto findet seinen Weg hier her und seit Tagen ist kein Handynetz zu empfangen.
Mit brennenden Muskeln, außer Atem und mit pochendem Herzen blicken wir uns um und erst langsam begreifen wir, dass wir tatsächlich diesen schmalen Schäfer-Pfad mit unseren Fahrrädern überwunden haben.
Die Räder schieben, zu zweit ziehen, vorsichtig ein paar hundert Meter am Abgang entlang radeln, dann wieder zu dritt an einem Rad anpacken, um alles über einen großen Felsen zu wuppen.
Vier Tage haben wir uns durch atemberaubende Berglandschaft auf schmalen Eselpfaden in die Höhe geschraubt, die oft nur 40cm breit sind.
Viele Wege sind wir doppelt gegangen, um Gepäck und Fahrräder nacheinander die steilen Hänge hinauf zu bringen, konnten höhenängstliches Schaudern abschütteln, um den nächsten Schritt zu wagen und mussten uns mit geschulterten Rädern gegenseitig stützen, um Flüsse mit starker Strömung zu überqueren. Wir wurden immer wieder mit atemberaubenden Ausblicken belohnt.
Für mich war es die erste hochalpine Wanderung und gleichzeitig die erste Hochalpinfahrradtour.
Es sind Tränen vor Angst und Erschöpfung geflossen, Wutschreie wurden gegen die steilen Berghänge gepfeffert und großer Jubel brach auf dem Gipfel aus.
Wir haben scheinbar endlose Graslandschaften durchquert und uns über die Wildblumem gefreut. Wir erspähten schneebedeckte Hänge und Gipfel in der Ferne, staunten über reißende Flüsse, die aus zahllosen Schluchten in die Tiefe stürzten oder durch die Täler rauschten. Direkt unterhalb der Quelle konnten wir unsere Flaschen mit eiskalten Wasser auffüllen. Oberhalb der Pfade thronten Ruinen mittelalterlicher Festungen oder Bergdörfer mit wohl Jahrhunderte alter Geschichte dieser entlegen lebenden Gemeinschaften.
Wir begegnen vereinzelt Schäfern, einmal berittener Grenzpolizei, die unseren Passierschein kontrolliert (Tschetschenien liegt zwischendurch durch nur wenige hundert Meter entfernt) und ab zu Wanderer*innen. Ansonsten sind es nur wir vier in dieser Landschaft, was auch bedeutet dass wir Lebensmittel für fünf Tage und vier hungrige Menschen bei uns tragen. Zu Beginn sind unsere Räder schwerer als je zuvor. Glücklicherweise gibt es genug Bergquellen, sodass wir uns um Trinkwasser keine Sorgen machen müssen.
Es war eine unfassbar intensive Erfahrung, eine teilweise extreme Herausforderung. Freude, Erschöpfung, Stolz und Erschütterung wechseln sich ab und ich bin sehr dankbar, dass wir alle gesund und munter in Shatili angekommen sind. In Körper und Geist werden die vergangenen Tage bestimmt noch eine Weile nachklingen.
Gastfreundschaft 3000! (Türkei)
Auf dem Seitenstreifen einer mehrspurigen Straße strample ich den Hügel hoch.
Schreckhaft zucke ich zusammen als der vorbeirauschde LKW kräftig hupt. Wenn der wüsste, wie laut es außerhalb seines Fahrerhäuschen ist.
Plötzlich winkt mir der LKW-Fahrer zu, der nun auf dem Seitenstreifen angehalten hat: er schenkt jedem von uns eiskaltes Wasser und wünscht gute Reise.
Als er auf seinen hohen Sitz zurück klettert, zückt er noch einen Schokokuchen aus der Kühlbox auf dem Beifahrersitz und wirft ihn mir grinsend durchs Fenster zu.
Teşekkürler rufe ich und radele mit breitem Grinsen weiter.
Wir lehnen die Räder an die Mauer und ich hüpfe schnell in den kleinen Einkaufsladen.
Als ich wiederkomme plaudert Jakob mit einer Frau auf dem Balkon überm Geschäft und fünf Minuten später sind wir zum Frühstück eingeladen.
Es gibt verschiedene Käsesorten, Oliven, Tomaten, Marmeladen, Brot und natürlich Çay.
Das pensionierte Ehepaar hat 40 Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet.
Ihre drei Kinder sind dort geboren, groß geworden und leben weiterhin im Raum Stuttgart. Für die Rente leben sie wieder in der Türkei, manchmal vermissen sie Deutschland, aber hier sei ihre Heimat.
Als ich Jakob auf der schmalen Straße eines Dorfes einhole, ist er mit einem Vater und zwei Söhnen ins Gespräch verwickelt.
Mir wird laut „Stopp“ zugerufen, denn wir sind zu hausgemachten Ayran und frischen Früchten im Schatten eingeladen.
Dank Jakobs guten Türkischkenntnissen werden wir über unsere Reise, Berufe und Pläne ausgefragt. Danke für diese schöne, schattige Pause.
Auf einer kleinen Landstraße kommt uns ein Auto entgegen,
welches wir kurz vorher beim Market gesehen hatten. Während der Fahrt streckt der Fahrer seinen Arm mit einer Tüte zu Jakob mit zwei kalten Eistees und wünscht uns eine gute Reise.
Teşekkürler rufen wir in den Fahrtwind.
Wir radeln durch eine kleine Ortschaft, als mich ein Mann zum Gartenzaun winkt und mir zwei Hände voll Aprikosen schenkt.
Wir könnten gerne hineinkommen und so viele ernten, wie wir wollen.
Alaçatı ist ein weltberühmter Spot zum Windsurfen. Der Ort ist ziemlich schick,
die internationalen Gäste gut betucht und in der Bucht reiht sich eine Surfschule an die nächste.
Wir bekommen eine Empfehlung durch unseren Campingplatzbesitzer und werden dort gleich als seine Freunde willkommen geheißen.
Der Besitzer Selih hat in Österreich studiert und kümmert sich sehr aufmerksam und zuvorkommend um uns.
Es gibt Kaffee, Tee, Wein, Surfequipmentberatung,
einen Ausflug mit dem Surftandem, die Einladung zum Zelten auf seinem Gelände und am Ende einen saftigen Rabatt auf Kurs- und Leihgebühren.
Alaçatı ist ein weltberühmter Spot zum Windsurfen. Der Ort ist ziemlich schick,
die internationalen Gäste gut betucht und in der Bucht reiht sich eine Surfschule an die nächste.
Wir bekommen eine Empfehlung durch unseren Campingplatzbesitzer und werden dort gleich als seine Freunde willkommen geheißen.
Der Besitzer Selih hat in Österreich studiert und kümmert sich sehr aufmerksam und zuvorkommend um uns.
Es gibt Kaffee, Tee, Wein, Surfequipmentberatung,
einen Ausflug mit dem Surftandem, die Einladung zum Zelten auf seinem Gelände und am Ende einen saftigen Rabatt auf Kurs- und Leihgebühren.
Wir haben uns mal wieder ein schattiges Plätzchen auf einem Spielplatz für unser Mittagessen gesucht, Salat, Brot, Bohnen und Käse vor uns ausgebreitet.
Zur gleichen Zeit ist eine fünfköpfige Familie angekommen und bevor sie selbst richtig mit dem Essen begonnen haben,
bringt uns eine Tochter zwei Becher mit kalter Fanta und mehrere selbstgebackene, gefüllte Fladenbrote vorbei.
Als wir zum Dank einen Smoothie aus dem Supermarkt vorbeibringen verdoppeln sie die Portion Pide und es gibt noch eisgekühltes Wasser dazu.
Kaum haben wir uns wieder gesetzt, kommt ein anderer Passant auf den Spielplatz und fragt,
ob wir irgendetwas bräuchten: wir könnten auch seine Toilette oder Dusche benutzen.
Wir haben inzwischen mindestens fünf türkische Handynummern bekommen, die wir jederzeit anrufen können, wenn wir etwas brauchen oder Probleme haben.
Ein unendliches Dankeschön an alle, die unsere Reise durch die Türkei zu so einem herzerwärmenden Erlebnis machen!
Nach sechs Monaten erreichen wir Georgien
Wir sind auf dem Weg über den Abano-Pass in der Bergregion Tuschetien, 10 Stunden bergauf mit unseren gepackten Fahrrädern, 2500 Höhenmeter müssen wir überwinden, 32 Kilometer radeln, schieben, durchatmen und wieder schieben und versuchen in die Pedale zu treten bis zum Gipfel des Passes.
Was anfangs noch als Schotterweg zur nächsten Alm durchgehen konnte, wird mit jedem Kilometer wilder. Wir folgen einem Gebirgsbach durch den Grünen Blätterwald, dann stehen die Hänge fast senkrecht über uns.
Die Piste duckt sich unter Felsvorsprünge, kippt über Sturzbäche, gräbt sich durch Kiesrinnen und an Wasserfällen vorbei.
In engen Serpentinen windet sich die Straße über eine Flanke des Kaukasuses, immer am Abgrund entlang, der vollkommen barrierefrei, abrupt und randlos in eine grüne Leere hinabreicht.
Der Abano Pass ist der höchste befahrbare Pass Georgiens und die Straße nach Omalo, zählt zu den gefährlichsten Routen der Welt.
Erst 1978 war die Straße eröffnet worden. Davor gab es nur einen Pferdepfad. Dass die Region noch heute als eine der abgelegensten Gegenden Georgiens gilt, liegt am georgischen Winter, der die Straße sechs Monate lang unpassierbar macht.
Der Aufstieg mit dem Fahrrad auf dem
Abanopass war wild, abenteuerlich, physisch das Anstrengenste was ich je probiert habe, atemberaubende Landschaften mir großen Glücksgefühlen, mental hart an der Grenze, oft ohne Handynetz und mit den dem besten Kaukasus-Quartett was ich mir wünschen kann.
Stolz und vollkommen erschöpft erreichen wir um 20Uhr auf 2800 m.ü.N. eine kleines Plateau für unser Zelte. Dort steht bereits ein 4×4 Fahrzeug mit Dachzelt, der Besitzer begrüßt uns herzlich mit heißem Kräutertee.
Die Sonne geht unter während wir unser Zelt aufbauen und es schlagartig eiskalt wird. Schnell ziehen wir alle Kleidungsstücke, die wir dabei haben, übereinander an und kochen uns in der Dunkelheit Lenas köstliches, Selbst gedörrtes Pilzragou, bevor wir müde und überwältigt in die Schlafsäcke schlüpfen.
Albanien schmeckt nach Kirschen und Benzin
Nach über drei Wochen in Montenegro überquerten wir also die nordwestliche Grenze Albaniens:
schon vor der Grenze mehren sich die PKWs, in denen jeder Platz besetzt ist,
vielleicht auch doppelt und Menschen grinsend aus dem Fenster winken. Es wird viel geraucht und reichlich Obst und Gemüse am Straßenrand verkauft.
Während der ersten Kilometer ist Larissa ganz aus dem Häuschen, weil so viele Albaner*innen Fahrrad fahren.
Drahtesel in allen Formen und Farben, die Radler*innen am liebsten mit Badelatschen,
O-Beinen und ohne Helm. Daneben cruisen Mopeds, auch hier scheint das Lieblingsoutfit mit Badelatschen und ohne Helm zu sein.
Die Straßen sind belebt, die Menschen in Albanien scheinen unterwegs zu sein. Autos & landschwirtschaftliche Fahrzeuge aus dem Baujahr unserer Eltern und Großeltern.
Junge Männer, die auf dem alten Trecker sitzen, AirPods im Ohr, hupen und freundlich winken.
Es sind über 35 Grad und wir atmen Abgase ein.
Dieses kleine Land (mit 28.748 km2 etwas größer als Mecklenburg-Vorpommern) auf dem südöstlichen Balkan hatte, seit dem Sieg der kommunistischen Partisanen über die deutschen und italienischen Besatzung im Jahre 1944,
etwa 50 Jahre unter einer stalinistischen Diktatur gelebt. Der Diktator Enver Hoxha schottete das Land ab, sicherte die Grenzen mit Schießbefehl nach Innen,
übersäte das Land mit Bunkern und kontrollierte das gesellschaftliche Leben mit einer brutalen Geheimpolizei.
Seit dem Ende dieses repressiven Regimes Mitte der 90er Jahre strebt Albanien politisch und ökonomisch dem Westen entgegen und ist Betrittskandidat zur EU.
Die sehr junge Bevölkerung scheint, nach der Isolation der Vorgängergenerationen, ein besonders großes Interesse an der Außenwelt zu haben und wir haben das in Form ihrer außergewöhnlichen Hilfsbereitschaft, Gastfreundschaft und Großzügigkeit zu spüren bekommen. So viel beraten, beschenkt, geherzt und angelächelt wurden wir noch in keinem anderen Land und jeder Besuch am Marktstand war ein großes Vergnügen.
Das Interesse erfreut auch ausländische Konzerne, die das Land mit einer Masse an kleinteilig verpackten Konsumgütern bescheren,
welche die dortige Müllentsorgung vollkommen überfordern.
Auch in der Haupstadt Tirana trifft die Moderne auf unterschiedliche Traditionen.
Eine Stadt, deren Bevölkerung sich seit dem Ende der Diktatur vervierfacht hat, Albaniens Bevölkerung ist im Durchschnitt 34 Jahre alt und die jungen Menschen lassen das Straßenbild besonders lebendig wirken.
Am Rande des zentralen Skanderbeg-Platzes begegnen wir einer Grundschulklasse, vier Kinder sprechen fließend US amerikanisches Englisch und verwickeln uns in ein Gespräch. Sie hätten sich die Sprache mit dem Handy beigebracht.
Zum Abschied bekommt Larissa einen kleinen Liebesbrief aus dem Schulheft gerissen.
Wir finden ein hippes vegetarisch/veganes Restaurant, in dem uns unsere Mittagessen, Nachtische und Säfte zusammen nur 20 Euro kosten. Ein Einkauf mit reichlich Gemüse & Obst auf dem Markt kostet 5 Euro.
Doch als wir mit den Rädern an der Tankstelle vorbei rollen sind wir erstaunt, dass Benzin & Diesel pro Liter umgerechnet 2 Euro wie in Deutschland kosten und wir fragen uns, wie jemand das von einem Monatsgehalt von ca. 300 Euro finanzieren soll, denn Albanien gehört zu den ärmsten Ländern Europas.
Als wir die junge Ingenieurin Sidorella kennen lernen, wundert es uns nicht, dass sie von einer deutschen Firma abgeworben wurde.
„Die Regierung hilft uns nicht, also muss jeder auf sich selber schauen“, sagt sie achselzuckend.
Mitte Juni zieht Sidorella nach Deutschland,
wird dank ihrer Arbeit eine EU Aufenthaltsgenehmigung bekommen, ihre Firma habe das Verfahren beschleunigen können, wegen des Fachkräftemangels.
Ihr Verlobter wird mitreisen ohne zu wissen ob er eine Arbeit-und Aufenthalterlaubnis bekommt oder nach ein paar Monaten das Land wieder verlassen muss.
Sie wollen vor der Abreise noch heiraten.
Wir wünschen den Albaner*innen, dass all diese Warmherzigkeit, die wir bei unserem
Besuch in Albanien erleben durfte, ihnen genauso zu Teil wird.
Die wilden Pferde von Livno
Feiner Sprühregen und tiefer Nebel umgeben den Ort Livno, als wir um kurz nach acht Richtung der Hochebene Krug radeln. Livno ist eine kleine Stadt im Südwesten von Bosnien und Herzegowina, unweit der Grenze zu Kroatien.
Vor uns eröffnet sich eine scheinbar endlose Grassteppe auf einem Bergplateau auf 1100 Meter über dem Meeresspiegel, kleinere und größere Felsen, immer größer werdende Hügel, Berge und zum Teil Schnee bedeckte Gipfel rahmen die weiten Wiesen.
Und dann, in weiter Ferne, eine große Herde von 25 Pferden. Weit weg und dennoch beeindruckend!
Wir entscheiden uns für einen schmalen Pfad übers Gras, als wir eine weitere Herde von mindestens 30 Tieren entdecken. Wieder legen wir die Räder ins Gras, nähern uns langsam und mit immer größerem Staunen. Wir sehen Fohlen, Stuten, Hengste, manche galoppieren über die Ebene, da gehen zwei in den Kampf miteinander, schlagen aus, erheben sich auf die Hinterläufe! Spektakulär! Doch als die Pferde uns bemerken und direkt Kurs auf uns nehmen, anscheinend die ganze Herde in unsere Richtung zu traben beginnt, packt Jakob die Angst und Larissa lässt sich anstecken. Ganz ohne offiziellen Ranger mit Jeep im Land der wilden Pferde zu sein ist uns dann doch unheimlich, wir machen kehrt, nehmen die Beine in die Hand und schwingen uns aufs Rad.
Der Ursprung der Livnoer Wildpferde geht auf die 1970er Jahre zurück, als die Mechanisierung der Landwirtschaft auf dem Balkan stattfand. Bosnische Mustangs sind die Nachkommen der ursprünglichen zahmen Pferde, die in Dörfern rund um die Stadt Livno gehalten und verwendet wurden. Vor also etwa fünfzig Jahren befreiten die Dorfbewohner ihre domestizierten Pferde und ersetzten sie durch Traktoren und andere Maschinen. Damals gab es nur ein Dutzend ausgesetzter Pferde, aber sie vermehren sich seitdem, trotz kalter Winter, wilder Tiere, der Jagd und des Jugoslawienkrieges in den 90er Jahren. Nur 50 Wildpferde überlebten den Krieg, aber als sie durch das bosnische Gesetz (2010) geschützt wurden, wurden bereits 200 beobachtet. Ihre Zahl stieg bis heute auf 400, manche sagen sogar auf 500 Tiere.
110 Tage Radreise: ein Ausschnitt aus dem Reisetagebuch vom Westbalkan.
Bosnien und Herzegowina
Überall blühen Löwenzahn und Gänseblümchen. Kurz nachdem wir die EU-Grenze passieren, hören wir einen wilden Mix von Keybord und Schlagzeug aus einem Gerät über den Parkplatz schallen, scheinbar ein kleines Gemeindefest mit Balkanbeats.
Die Wiesen sind saftig grün, überall gackern frei laufende Hühner. Wir sehen Hirten mit Ihren Schafherden über die Weite ziehen. Romantik anderer Zeiten.
Immer wieder liegen größere Mengen Müll im Straßengraben, im nächsten Gebüsch.
Ich frage mich warum.
Im Una Nationalpark bestaunen wir türkise Flüsse und mächtige Wasserfälle.
Die Schönheit der Natur und die Schrecken der Kriegspuren liegen hier nah beieinander. Noch nie habe ich so viele zerbombte Häuser gesehen.
Wir treffen herzliche Menschen die sich selbst als Kroaten oder Serben oder Bosniaken bezeichnen und genauso viele Dialekte der gleichen Sprache werden gesprochen: eine Übersetzung mit Googles Hilfe „Entschuldigung, ich spreche kein Bosnisch“ wird dem nicht gerecht.
Nachts jaulen die Hunde und tagsüber beißt einer Jakob beinahe in die Wade, nachdem er sich von seiner Kette losgerissen hat, um die Verfolgung aufzunehmen.
Die Landschaft wechselt von saftig zu karg, auf den Berggipfeln liegt noch Schnee. In der Ferne sehe ich bunte Steine. Als wir näher kommen ist es Müll der städtischen Deponija, riesige Mengen und erschreckend. Durch einen dünnen Zaun gesichert, trägt der Wind Plastiktüten und leichte Verpackungen auf die umliegenden Wiesen und in den Wald, Raben und streunende Hunde tummeln sich in den Gruben. „Sometimes they burn it“ lautet der nüchterne Kommentar eines Einheimischen im nahegelegenen Ort.
Ich wünschte, es wären die bunten Steine.
Wir begegnen Srdjan, der uns in seinem Garten Zelten lässt, weil ich mich vor den Wölfen fürchte. Am nächsten Vormittag erzählt er uns bei Tee und Kaffee so ungeschminkt aus seinem Leben, dass es uns die Tränen in die Augen treibt.
Noch nie hat sich Krieg für mich so nah angefühlt. Srdjan ist genauso alt wie mein Papa und hat nur knapp den Krieg überlebt. Er begegnet uns sehr offenherzig und warm, doch sein Bild des aktuellen Angriffskriegs in der Ukraine ist dunkel.
Zum Abschied fragt mich Srdjan wo wir nun hinwollen. „Nach Livno zu den frei lebenden Pferden.“, antworte ich. „Meine Tochter ist früher auch geritten“, antwortet Srdjan. Wir bekommen beide leuchtende Augen als wir über die Schönheit und Kraft dieser Tiere sprechen, die Freiheit und Zugehörigkeit zu einer Herde, die sie für uns ausstrahlen.
Wildzelten
Wie schön ist eigentlich das Übernachten in der freien Natur?
Wir hatten Zweifel, denn eigentlich gruseln wir uns schnell im Dunkeln und haben eine blühende Phantasie, wer oder was hinter dem knisternden Gebüsch lauern oder sich um Glucksen des Wassers verbergen könnte. Außerdem haben wir Hemmungen, andere Menschen zu verärgern.
Bei unserer Probewoche auf dem Rad im sommer- und friedlichen Österreich hatten wir uns dann doch jede Nacht auf einen Zeltplatz eingenistet.
Doch es ist Vetrauen im Zelt eingekehrt.
Von der Freiheit und Flexibilität sind wir begeistert, uns gefällt das Auskundschaften der Natur nach einem gut versteckten Ort, an dem wir uns sicher und geborgen fühlen. Es ist spannend, vorher mit den Karten und Satellitenbildern eine Idee zu entwickeln, wo ein potenzieller Schlafplatz auf uns warten könnte. Wir wissen inzwischen, wann wir mit dieser Suche beginnen sollten, um uns dafür die nötige Zeit zu nehmen.
Wir haben gelernt, den Windschatten zu suchen, um ruhiger zu schlafen, vorm Aufbau den Sonnenstand einzubeziehen, damit die Morgensonne am nächsten Tag Wärme verbreitet und alles trocknet, das Zelt so aufzubauen, dass es möglichst gut belüftet ist und einen Baum oder Strauch für die Wäscheleine in der Nähe zu wissen. Wir brauchen einen Ort, der mindestens 2×2 Meter Ebene Oberfläche für unser Zelt bietet, weichen Boden für die Heringe oder zumindest einige große Steine, um es sicher abzuspannen.
Wir genießen es, in Ruhe zu zweit zu sein, keine Straßenlaternen oder Wohnmobile mit Flutlichtern, kein Auf und Ab des Verkehrslärms, kein Dauerrauschen einer naheliegenden Raffinerie. So kann mit den Geräuschen des Waldes, des Meeres oder der Vögel nach einem langen Fahrradtag Ruhe einkehren. In der Natur schlafen wir friedvoll, erholsam und lang. Manchmal erwachen wir zu einem regelrechten Vogelkonzert und sind sprachlos über die Aussicht.
Und doch kommt sie manchmal wieder, diese große Angst vor einer kleinen Maus, deren nahes Geraschel im Zelt nach einem riesigen Raubtier direkt vor der Tür klingt.
Oder eine*r von uns überlegt sich Still schonmal eine Argumentation für die morgendliche Kontrolle (die es bisher noch nie gab). Wir beugen dem vor, indem wir Privatgelände meiden und nicht in Naturschutzgebieten das Zelt aufschlagen. Wir hinterlassen keine Spuren.
Der erste Monat:
entlang der Elbe, über‘s Erzgebirge rauf und runter nach Bayern bis an die Alpen und darüberhinaus.
Ihr Lieben,
wir möchten Euch neben den Bildern noch ein paar Geschichten von der Reise erzählen. Vorweg: es geht uns sehr gut, wir sind sehr angekommen auf dem Weg und auf den Rädern. Seit einer Weile haben wir uns von vorher feststehenden Tageszielen unabhängig gemacht und sind daher viel mehr in Ruhe unterwegs. Wir lernen dazu, können uns von Durchschnittsvorgaben der Tageskilometer oder einem Mindestmaß an Nächten im Zelt lösen. Wie Ihr sehen könnt, fahren wir jeden Tag durch wirklich wunderschöne Landschaften, die Sonne scheint und scheint und im Schatten bleibt es weiter frostig.
In Chemnitz vor einem riesigen Fahrradgeschäft, in dem Larissa endlich die Lösung für ihre kalten Füße fand (primaloft-Überzieher) wurde sie von einem älteren Herren wortreich über die Sehenswürdigkeiten der Umgebung aufgeklärt. Neben der Begeisterung für die eigene Heimat bewunderte er die Räder und insbesondere die Rahmentaschen. Auf unserem Weg durchs Erzgebirge folgten wir seiner Empfehlung und befuhren zwischenzeitlich die Karlsroute, einem schönen, EU-geförderten Radweg zwischen Chemnitz und Carlsbad. Wir radelten einfach drauflos, kamen immer höher über den Meeresspiegel und schließlich lag um uns herum überall Schnee, der Sonnenuntergang stand kurz bevor, die Schatten wurden länger und kälter und wir waren erschöpft. Gleichzeitig waren wir sicher, im nächstgrößeren Ort Johanngeorgenstadt kurz vor der Grenze zu Tschechien aus einem Angebot an Unterkünften die schönste auswählen zu können. Doch wir wurden eines besseren belehrt: die Jugendherberge war voll und weder Airbnb, booking.com oder fewo-direkt ergaben Treffer in der Nähe.
Nur weil sie etwas in der Pension vergessen hatte erreichten wir die Wirtin des einzigen Gasthauses „Schanzenblick“, die uns zwei „Verrückte“ schon auf dem Weg dahin mit dem Auto überholt hatte, an ihrem eigentlichen Ruhetag. Freundlich und lustig nahm sie uns auf, schickte und zu zwei Einheimischen in die hauseigene Sauna, die uns mit einer ehrlichen Mischung aus Begeisterung und Vorurteilen zu der Reise befragten.
Im benachbarten Schullandheim war gerade eine größere Gruppe geflüchteter Familien aus der Urkraine untergekommen. Johanngeorgenstadt sei ja ein „aussterbender Ort“ mit rapide sinkender Bevölkerung, sagte einer der Männer. Er glaube, dass einige Menschen aus der Ukraine dort blieben und dann gäbe es vielleicht ja sogar wieder Kinder in der Stadt.
Nach einer klirrend kalten Nacht im Zelt in Tschechien nahe des Örtchens Lomy trockneten wir unsere vereisten Sachen auf einer Weide nahe unseres im kalten Schatten versteckten Schlafplatzes. Ein Bauer kam mit seinem Traktor und wir erwarteten eine Zurechtweisung wegen unserer Übernachtung auf seinem Grund und Boden. Mit freundlichem Lächeln, Händen und Füßen erklärte er uns hingegen, dass er seine Rinder auf die Weide getrieben habe und wir uns lieber ein paar Meter hinter den (von uns zuvor achtlos überwundenen) Weidezaun begeben sollten, damit sie uns nicht gefährlich werden könnten. Gesagt, getan und nach herzlichem Dank räumten wir weiter zusammen. Nach einer halben Stunde näherte sich aus anderer Richtung ein Geländewagen, eben dieser Bauer mit seinem Sohn stiegen aus und beschenkten uns mit einer Tüte voller Äpfel, Kekse, geschmierter Brote und Tee. Wir waren überwältigt und gerührt von dieser Warmherzigkeit.
Im südöstlichen Bayern in der Nähe des Höglwörther Sees radelten wir am späten Nachmittag durch immer länger werdende Schatten und aufkeimende Kälte. In dem Landschaftschutzgebiet wollten wir unser Zelt nicht aufschlagen und so fuhren wir weiter im Tal. Hinter der nächsten Biegung tauchten drei Häuser auf und ein Mann stapfte aus seiner Garage: „Kann ich euch weiterhelfen?“, „Wir suchen noch ein Platz für unser Zelt für eine Nacht, gehört ihnen hier ein Fleckchen auf den umliegenden Wiesen?“ fragte Jakob, „ja, direkt die hier, da könnt ihr bleiben.“
So landeten wir Im Vorgarten von Familie Anderl. Zehn Minuten später kam er noch mit zwei frischen Brezn und wünschte uns eine gute Nacht.
Als wir am nächsten morgen aus dem Zelt krabbelten, kam die gegenüberliegende Nachbarin im Schlafanzug in den Garten und rief „wollst an Tee oder Kaffee?“, „wenn’s keine Umstände macht, richtig gerne“, strahlten wir zurück.
Dann gesellte sich auch Frau Anderl mit der Frage „lieber Honig oder Marmelade“ zu uns. Von der Nachbarin wurden Kissen auf die sonnenbeschiene Bank vor dem Haus gelegt und wieder konnten wir unser Glück kaum fassen.
Dies sind die einige Beispiele von Begegnungen auf unserer Reise, die uns ständig begeistert und bereichert. Wir sind dankbar für den Frieden und die Freiheit, die uns beiden diese Erfahrung ermöglicht.
Nach einer partiellen Alpenüberquerung über den Alpe-Adria-Radweg und durch den Tauern-Tunnel geht’s nun auf Talfahrt gen Süden. Die Route steht noch nicht fest, wir freuen uns und sind sehr gespannt.