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Über den Autor:
Thomas hat Physik und Philosophie in Hannover studiert. Momentan promoviert er in Physik am Max-Planck-Institut in Göttingen. In seiner Freizeit ist er viel mit dem Rennrad, Tourenrad oder zu Fuß in der Weltgeschichte unterwegs. Er schläft so gerne im Schlafsack, dass der inzwischen sogar seine Bettdecke abgelöst hat. 2021 ist Thomas mit dem Rad der Länge nach durch Norwegen gefahren. Die Erfahrungen seiner Reise hat er in diesem Bericht für euch zusammengefasst.
Wenn du mehr zu Thomas wissen willst, besuch doch seine Webseite oder sein LinkedIn-Profil.
Der Wind pfeift um mein Zelt und peitscht 300 Meter weiter unten das Meer auf. Je stärker es an der Plane zerrt, desto gemütlicher wird es im Inneren. In meinen Schlafsack eingemurmelt bin ich völlig zufrieden und genieße den Moment. Der Tag war einfach perfekt! Vor meinem inneren Auge sehe ich erneut das Schild „Nordkapp: 500 Meter“ aufblitzen. Gänsehautfeeling.
Nach 2600 Kilometern Radreise taucht vor mir das Nordkapp auf als die Sonne im Meer versinkt. Durch die Abendsonne strahlt die Hochebene in magischem Gold als ich mich den letzten Anstieg hochkämpfe. Rückenwind hat mich auf der gesamten Etappe begleitet, sodass ich nur so dahinflog. Den Nordkapp Tunnel mit seinen 212 Metern unter dem Meeresspiegel zu durchfahren und dann die zwei letzten Aufstiege von Honningsvåg zum Nordkapp zu bezwingen beschert mir ein Gefühl der Euphorie; aus einem Impuls heraus schreie ich laut vor Freude.
Ich erinnere mich an den Aufstieg zum Trollstigen und die Eaglesroad am Geirangerfjord. Es ging über eine Strecke von vielen Kilometern nur bergauf und der Rausch kurz vor und am höchsten Punkt war unbeschreiblich. Die vorbeifahrenden Autos feuerten mich unbekannterweise an und der Gedanke an die bevorstehende Abfahrt hat in mir alle Kräfte mobilisiert. Wenn du deine gesamte Ausrüstung mit dir herumfährst, haben die Ausblicke und Zwischenziele eine ganz andere Bedeutung als im Wohnmobil oder Van. Du hast den Berg, den Regen, den Wind und die Kälte bezwungen. Du hast dir den Ausblick im wahrsten Sinne des Wortes mit Schweiß und Blut verdient. Ein Cocktail aus Emotionen entlädt sich.
Noch vor vier Wochen hatte ich mit dem Gedanken ans Aufgeben gekämpft. Mehrere Tage Regen und viele Höhenmeter in den ersten Tagen haben mich mental an den Rand meiner Möglichkeiten gebracht. Dass ich nicht aufgegeben habe, kann ich genau an einem Moment festmachen, als ich mit meinem besten Freund in Deutschland telefonierte und er mich ermutigte weiterzumachen. Nun bin ich dankbar für all die Erlebnisse, die ich auf der Tour machen durfte!
Vom bergigen und warmen Süden Norwegens entlang der Westküste bin ich über die Lofoten bis hoch zum Nordkapp gefahren. Wundervolle Fjorde, beeindruckende Wasserfälle und zerklüftete Küstenlandschaften sind mir auf dem Weg begegnet. Das Klima wird ebenfalls rauer, der Wind bläst teilweise unerbittlich und das Wetter kann schnell umschlagen. Die Vegetation wandelt sich von fruchtbaren Feldern und Wiesen im Süden zu Steinwüsten und einer gedrungenen Vegetation im Norden, wo mir mehr Rentiere als Norweger über den Weg gelaufen sind.
Die majestätisch anmutenden Elche sind mir ebenfalls hautnah begegnet. Auf einem abschüssigen Feldweg mit vielen Schlaglöchern, der viel Konzentration beim Fahren erforderte, hätte ich beinahe den riesigen Elchbullen neben mir übersehen. Nur etwa 10 Meter von mir steht das gewaltige Tier, das so massiv wie zwei nebeneinanderstehende Pferde wirkt. Ich mache eine Vollbremsung und verscheuche damit natürlich den Elch, aber ich habe Glück und er kehrt in der Nacht zurück, sodass ich ihn von meinem Schlafplatz noch einmal bestaunen kann.
Durch das Jedermanns-Recht konnte ich nahezu überall mein Zelt aufschlagen. An einem einsamen See in Flekkefjord oder eben an der Steilküste am Nordkapp: Jeder Tag ist ein Abenteuer. Auf den Lofoten habe ich Zelt und Kocher mit zwei anderen Radlern den Offersoykammen hochgeschleppt. Vom Gipfel hat man einen atemberaubenden Blick auf umliegende Berge, weiße Strände und die Stadt Leknes. Dort oben den Sonnenaufgang zu erleben war einmalig!
Es übt auf mich einen unerklärlichen Reiz aus mit wenigen Dingen unterwegs zu sein. Ein Paar Ortlieb Taschen (Front- und Back-Roller) am Fahrrad, ein Rackpack für Zelt und Schlafsack, einen Trangia zum Kochen und es kann losgehen. So schnell verlieren die alltäglichen Dinge an Bedeutung und es geht nur noch um das Fahren, den nächsten Schlafplatz und natürlich das Essen! Über den Tag hinweg verspüre ich Freude darüber, die Tour selbst gestalten zu können und völlige Freiheit zu haben. Gegen Abend dann die Freude anzukommen und etwas ausruhen zu können. Jeden Morgen beschleicht mich die gleiche kribbelnde Unruhe, eine kindliche Freude darauf, wieder in den Sattel steigen zu können und die nächsten Kilometer zu erkunden. Was erwartet mich heute? Wo komme ich heute Abend an?
Am Nordkapp ist dieser Abenteuerhunger noch nicht ganz gestillt. Es fühlt sich an, als sei ich einfach noch nicht „fertig“ mit der Tour. Also beschließe ich mit dem Boot von Honningsvåg nach Bodø zu fahren, von dort den Zug nach Oslo zu nehmen und dann mit dem Fahrrad entlang der Küste nach Kristiansand zu fahren, wo meine Tour begann. Dort angekommen habe ich nun deutlich über 3000 Kilometer auf dem Tacho und wirklich das Gefühl angekommen zu sein. Damit habe ich einmal fast die gesamte Küste Norwegens umfahren. Nur Nordlichter habe ich leider nicht gesehen – ein Grund von vielen wiederzukommen!